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Gluten: Warum wir seit 10.000 Jahren Probleme damit haben


Volkskrankheit
Ein Kleber, der zusammenhält – und krank macht?

MeinungEine Kolumne von Dr. med. Yael Adler

19.04.2025Lesedauer: 4 Min.
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Amaranth in Schaufel: Glutenfreies Superfood im Fokus der Ernährungsgeschichte. (Quelle: IMAGO/Gerardo Vieyra/imago)
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Gluten beschäftigt zunehmend Verbraucher und Gesundheitsbewusste. Die Ursache dieser Entwicklung liegt tief in der Geschichte unserer Ernährung verborgen.

Reismehlwaffeln, Brot aus Buchweizen oder die leckeren Maismehl-Kekse – wer das stetig wachsende Sortiment glutenfreier Lebensmittel im Supermarkt beobachtet, ist geneigt, an eine neue Ernährungsmode zu glauben. Doch das Problem ist schon etwas älter, so etwa 10.000 Jahre.

Damals begannen die Menschen Getreide anzubauen, was ihnen ermöglichte, sesshaft zu werden. Das wiederum führte zu einem Bevölkerungswachstum. Denn mit Getreide stand nun eine leichter verfügbare und vor allem lagerfähige Nahrungsquelle zur Verfügung. Unsere Verdauung war und ist allerdings gar nicht auf so viel Getreide eingestellt, das zeigen die Probleme und schweren Erkrankungen, die damit in Verbindung stehen.

(Quelle: Promo)

Zur Person

Dr. med. Yael Adler ist Fachärztin für Dermatologie, Venerologie, Phlebologie und Ernährungsmedizin (DGEM). Ihre Bücher "Haut nah" und "Darüber spricht man nicht" standen auf Platz 1 der "Spiegel"-Bestsellerliste. Ihr neuestes Buch "Genial ernährt! – Klüger essen, entspannter genießen, besser leben" wurde gerade veröffentlicht. Mehr

Viele betonen das Wort "Gluten" auf der ersten Silbe, verschlucken das "e", sagen also "Glutn", andere dehnen dieses "e" besonders lang. Variante eins erinnert an die Gluten des Feuers und an glue, das englische Wort für Kleber. Damit liegt man schon mal richtig. Ausgesprochen wird es aber wie in Variante zwei: "Gluteeen". Es kommt in den Getreidesorten Weizen, Dinkel und Grünkern, Emmer, Kamut, Einkorn und Triticale (Kreuzung aus Weizen und Roggen), Gerste und Roggen vor.

Jede Menge Nebenwirkungen

Gluten ist ein Protein, das wiederum aus den Proteinen Gliadin und Glutenin besteht: Zusammen bilden die beiden eine elastisch-klebrige Struktur, sobald Wasser hinzugefügt wird, diese Eigenschaft macht Gluten so attraktiv fürs Backen: Teig bekommt und behält eine Form, wird elastisch, dehnbar und zerfällt nicht. Das Kohlendioxid, das bei der Gärung von Hefe freigesetzt wird, bleibt beim Backen im Teig und macht Brot oder Hefegebäck fluffig und locker.

Für Menschen mit der genetisch bestimmten Autoimmunerkrankung Zöliakie ist Gluten ein großes Problem. Wird es im Darm abgebaut, entsteht nämlich ein verändertes Gliadin-Fragment, das von bestimmten Immunzellen als "fremd" erkannt wird. Die daraufhin entstehenden Autoantikörper richten sich gegen körpereigenes Gewebe, greifen den Darm an und verursachen eine Entzündung, die die Zotten im Dünndarm zerstört, was wiederum zu verminderter Nährstoffaufnahme führt. Typische Symptome einer Zöliakie können Wachstumsverzögerung bei Kindern, geringe Gewichtszunahme, ein vorgewölbter Bauch oder wiederkehrende Durchfälle sein. Dazu kommen Fett im Stuhl, chronische Verstopfung, Gewichtsabnahme, Übelkeit, Blässe, Müdigkeit und Osteoporose vor.

Gute Ersatzlebensmittel

Eine glutenfreie Ernährung heilt die Beschwerden und senkt die Risiken effektiv. Glücklicherweise ist es heute leichter, glutenfrei zu essen. Für die Diagnose bestimmt man spezifische Antikörper im Blut, zur weiteren Bestätigung wird während einer Magenspiegelung eine Dünndarmbiopsie durchgeführt. Zöliakie tritt familiär gehäuft auf und ist oft mit anderen Autoimmunerkrankungen verbunden. Betroffene müssen Gluten strikt meiden. Tun sie das nicht, leiden sie unter Bauchbeschwerden und erhöhtem Krebsrisiko, manchmal auch an einer Hauterkrankung mit juckenden Bläschen.

Glutenfreier Hafer, Hirse, Amaranth, Quinoa, Buchweizen, Lupine, Kartoffel, Reis, Mais, Kichererbsen, Sorghum (das ist die große Kolbenhirse mit Ursprung in Afrika) und Teff (aus Äthiopien) sind geeignete Ersatzlebensmittel. Auch frisches Obst, Gemüse, Hülsenfrüchte, Fleisch, Fisch, Eier, Milchprodukte, Nüsse und Samen sind glutenfrei. Seitan, ein bei Veganern beliebter Fleischersatz, ist dagegen ungeeignet: Er wird aus reinem Weizengluten hergestellt, indem der Teig gewaschen und Stärke entfernt wird. Dadurch hat Seitan eine fleischähnliche Textur, die je nach Zubereitung knusprig, zäh oder weich sein kann.

Aufgrund seines hohen Eiweiß- und niedrigen Fettgehalts ist er auch in Phasen der Gewichtskontrolle beliebt, für Zöliakie-Betroffene aber ein wahrer Albtraum. Zumal, wenn man bedenkt, dass schon geringste Mengen an Gluten in Lebensmitteln oder Medikamenten, ja selbst verunreinigte Küchenutensilien, den Entzündungsprozess erneut entfachen können. Achtung, manche Sojasoßen werden mit Weizen hergestellt und können daher ebenfalls Gluten enthalten!

Wertvolle Nährstoffe gehen verloren

Menschen ohne die Erkrankung müssen Gluten nicht meiden, obwohl es offenbar auch bei Gesunden Darmbeschwerden bewirken kann: Nicht-Zöliakie-Glutensensitivität wird das genannt, die Ursachen sind bisher nicht vollständig geklärt. So wird vermutet, dass nicht nur das Gluten selbst, sondern andere Bestandteile des Weizens, wie Amylase-Trypsin-Inhibitoren (die ATIs), sowie die modernen Technologien der Weizenverarbeitung eine Rolle spielen.

Diese ATIs wirken als hochgezüchtete natürliche Pestizide, als Abwehrproteine im Weizen und können beim Menschen entzündliche Reaktionen befeuern, weil sie das Immunsystem aktivieren und die Anfälligkeit für Allergien erhöhen. Bei manchem führt das zu Blähungen, Müdigkeit oder allgemeinem Unwohlsein. Zudem wird Weizen industriell zu Weißmehl verarbeitet, wobei Randschichten und der Keim des Korns entfernt werden, wertvolle Nährstoffe wie Ballaststoffe, Vitamine und Mineralstoffe gehen verloren.

Es gibt auch die klassische Allergie

Weißmehlprodukte bestehen hauptsächlich aus Stärke und Gluten, was den Blutzuckerspiegel ansteigen lässt. Früher wurde Brot häufig lange fermentiert (zum Beispiel durch Sauerteig), was das Gluten und andere schwer verdauliche Bestandteile, langkettige Kohlenhydrate, die Blähungen verursachen können, zum Teil abbauen konnte. In Urweizensorten hat Gluten noch eine andere Struktur, weniger große Glutenin-Gebilde, somit schlechtere Backeigenschaften, aber bessere Verträglichkeit.

In der heutigen Backindustrie, in der Zeit Geld ist, wird der Teig jedoch oft nur kurz fermentiert, was seine Verträglichkeit mindert. Wer nach dem Genuss eines Brötchens aus der Bahnhofsbäckereikette schon mal Blähungen hatte, weiß, was ich meine. Bei der Herstellung von Weizenprodukten werden außerdem häufig Zusatzstoffe wie Enzyme, Emulgatoren und Konservierungsstoffe beigemischt, um die Haltbarkeit und Textur zu verbessern. Einige Menschen reagieren darauf empfindlich.

Darüber hinaus gibt es aber auch Menschen, die eine klassische Lebensmittelallergie gegen Weizenproteine haben. Die Symptome können unterschiedlich ausfallen: juckender Hautausschlag, Nesselsucht, Ekzeme, Atemwegsbeschwerden wie Niesen, laufende oder verstopfte Nase; dann Husten, Keuchen, Atemnot, Magen-Darmbeschwerden wie Übelkeit, Erbrechen oder Bauchschmerzen. Auch Durchfall und Blähungen sind möglich, ebenso Schwellungen an Lippen, Gesicht, Zunge oder Rachen.

Die Kombination kann verheerend sein

Aber es geht noch weiter, bis zu anaphylaktischen Reaktionen mit Atemnot, Blutdruckabfall und Kreislaufproblemen. Ich hatte einen Patienten, der zum Frühstück ein Weizenbrötchen verspeiste und dann wandern ging. Als es anstrengender wurde, erlitt er einen schweren allergischen Schock. Er litt unter der seltenen weizenabhängigen, belastungsinduzierten Anaphylaxie, bei der der Verzehr von Weizen nur in Kombination mit körperlicher Belastung eine allergische Reaktion auslöst. Dabei reagiert das Immunsystem auf bestimmte Weizenproteine wie Gliadin besonders heftig, wenn sie nach dem Essen und durch Bewegung plötzlich schneller in den Blutkreislauf gelangen.

Betroffene sollten also körperliche Aktivitäten nach dem Verzehr von Weizen meiden (der versteckt sich auch gern als Andicker und Bindemittel in Fertigprodukten) und besser stets ein Notfallset mit flüssigem Kortison, Antihistaminikum und Adrenalin-Autoinjektor bei sich haben.

Bleiben Sie achtsam, genussfreudig und kommen Sie gesund durch die Zeit!

Verwendete Quellen
  • eigene Meinung
Transparenzhinweis
  • Die Informationen ersetzen keine ärztliche Beratung und dürfen daher nicht zur Selbsttherapie verwendet werden.

Quellen anzeigenSymbolbild nach unten

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